SCHARADE | BEISPIELE

 

Aus: Gerhard Grümmer „Spielformen der Poesie“, Bibliographisches Institut Leipzig, 1985.

 

„Als Scharade (franz. charade) bezeichnet man ein Doppel- oder Dreifachrätsel, bei dem das Lösungswort in sinnvolle Silben zerlegt wird, die getrennt verrätselt werden. Ein bekanntes Beispiel bildet das Wort Sau-er-kraut, über dessen Silben man schreiben kann:

Die erste frisst,

Die zweite isst,

Die dritte wird gefressen,

Das Ganze wird gegessen.

 

Anonym blieb der Verfasser eines Rätsels, das von der Formulierung her elegant wirkt:

Wenn ich je die Letzte möchte,

müsste sie das Erste sein

und das Ganze obendrein:

Anders wär es nicht die Rechte.

Die Silben jung und Frau ergeben zusammen das Lösungswort Jungfrau.

 

Eine nette Scharade fand U. Bentzien (1980) in einer Handschrift

aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts:

Mein Erstes ist nicht wenig,

mein Zweites ist nicht schwer,

mein Ganzes lässt mich hoffen,

doch traue nicht so sehr.

Gesucht wird das Wörtchen vielleicht. Diese Beispiele lassen bereits erkennen, dass die meisten Scharaden zu den Silbenspielen gerechnet werden können.

 

Manche Rätsel dieser Art waren lange Zeit in Prosa bekannt, ehe Rätselautoren daran gingen, sie in gehörige Reime zu gießen. Die folgenden Verse stammen vom Rätselautor Gustav Theodor Fechner(1801-1887):

Im ersten Beten und Singen erklingt;

das andere betet, das Ganze singt.

Hier wird – in epigrammatischer Kürze – der Dompfaff gesucht.

 

Philipp Buttmann (1764-1829), ein Freund F. D. E. Schleiermachers, lieferte eine Scharade, bei der ein Wort die Hauptrolle spielt, das einer anderen Sprache entnommen wurde. Es war seinerzeit im Deutschen weniger geläufig als heute, so dass die Lösung nicht so nahelag:

Die erste Silb‘ ein Fräulein ist

das Zweite herrscht zu jeder Frist

das Ganze durch des Teufels List

bei allen guten Dingen ist.

Miß-brauch heißt die Lösung. Auf den durchgehenden Einreim sei hier noch aufmerksam gemacht. Er leidet allerdings unter der Verwendung so blasser Wörter wie „ist“ und auch das Reimwort „Frist“ wirkt in diesem Zusammenhang weit hergeholt.

 

Silbenspiele dieser Art wirken auch dann gekünstelt, wenn die Trennung des Lösungswortes willkürlich und nicht entsprechend seinen eigentlichen Bestandteilen erfolgt. Friedrich Haug (1761 bis 1829) schrieb zum Beispiel:

Vers bin ich zur Hälfte, zur Hälfte nur Tand;

errätst du mein Ganzes, so hast du Verstand.

Die Versuchung, Vers und Tand von der inhaltlichen Seite zu betrachten, kann den Befragten über die naheliegende, in der zweiten Zeile gegebenen Lösung (Verstand) hinwegsehen lassen.

 

Den Scharaden sind auch Wortteilungsrätsel wie das folgende von Frierich Schleiermacher (1768-1834), das schon durch seine klassische Kürze bestechend wirkt:

Getrennt mir heilig

vereint abscheulich.“